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EuGH: Kronzeugenverfahren – Akteneinsicht von Kartellgeschädigten

In einem deutschen Anlassfall hat der EuGH klargestellt, dass einem Kartellgeschädigten zwecks Verfolgung seiner Schadenersatzansprüche auch in Aktenteile eines kartellgerichtlichen Bußgeldverfahrens Einsicht gewährt werden kann, die den Kronzeugen betreffen.
Von Redaktion
15. Juni 2011

Grundsätze der Akteneinsicht laut EuGH

Der Zugang von Kartellgeschädigten zu Dokumenten, die Kronzeugenverfahren betreffen, ist unionsrechtlich nicht verbindlich geregelt und die EU-Mitgliedstaaten können somit in diesem Bereich die entsprechenden nationalen Vorschriften erlassen. Im vorliegenden Urteil (C-360/09, Pfleiderer) stellt der EuGH klar, dass es mit EU-Recht grundsätzlich vereinbar ist, wenn eine nationale Vorschrift (hier: in Deutschland) vorsieht, dass ein Kartellgeschädigter, der Schadenersatz fordert, Zugang zu Dokumenten eines Kronzeugenverfahrens erhält, die den Urheber dieses Verstoßes betreffen.

Ohne näher auf Details einzugehen, gibt der EuGH nur folgende Hinweise für die Prüfung eines solchen Antrags eines Kartellgeschädigten durch die nationalen Gerichte:

  • Die nationalen Rechtsvorschriften dürfen die Erlangung von Schadenersatz nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren

  • und sie dürfen nicht weniger günstig sein als die für ähnliche innerstaatliche Rechtsbehelfe geltenden Vorschriften.

  • Es ist eine Abwägung vorzunehmen zwischen den Interessen, die die Übermittlung der Informationen rechtfertigen, und dem Schutz dieser vom Kronzeugen freiwillig vorgelegten Informationen.

Es bleibt also einmal mehr den nationalen Gerichten überlassen, im Einzelfall im Rahmen des nationalen Rechts und unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte der Rechtssache die entsprechende Abwägung vorzunehmen.

Ausgangsfall

Im Jahr 2008 hatte das deutsche Bundeskartellamt wegen Preis‑ und Kapazitätsstilllegungsabsprachen rechtskräftig Geldbußen in Höhe von insg € 62 Mio gegen drei europäische Hersteller von Dekorpapieren verhängt.  Nach Abschluss dieses Verfahrens beantragte die Pfleiderer AG beim Bundeskartellamt zur Vorbereitung zivilrechtlicher Schadensersatzklagen umfassend Einsicht in die Akten des Bußgeldverfahrens. Pfleiderer ist Abnehmer von Dekorpapieren und gab an, in den letzten drei Jahren Waren im Wert von über € 60 Mio von den mit Geldbußen belegten Firmen bezogen zu haben.

Das Bundeskartellamt begrenzte die Akteneinsicht auf eine um Geschäftsgeheimnisse, interne Unterlagen und Unterlagen im Sinne der „Bonusregelung“ (Kronzeugenregelung) bereinigte Fassung der Verfahrensakte und gewährte auch keine Einsicht in die sichergestellten Beweismittel.

Das Amtsgericht Bonn hingegen ordnete an, Einsicht auch in die Aktenbestandteile zu gewähren, die der „Bonusantragstellerfreiwillig der deutschen Wettbewerbsbehörde zur Verfügung gestellt hatte, sowie in die Asservate und Beweismittel. Begrenzt wurde die Akteneinsicht nur in Bezug auf Geschäftsgeheimnisse und interne Unterlagen, dh die Beratungsvermerke des Bundeskartellamts und die Korrespondenz im Rahmen des Europäischen Wettbewerbsnetzes (ECN). Nach Ansicht des Amtsgerichts sei der Umfang dieses Rechts durch Abwägung zu bestimmen und beschränke sich auf die zur Substantiierung des Schadensersatzanspruchs benötigten Aktenbestandteile.

Das Amtsgericht Bonn stellte allerdings auch ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH, weil es  Bedenken hatte, ob nicht unionsrechtliche Vorschriften einer derart weitgehenden Akteneinsicht von Dritten in die „Bonusanträge“ und von den Kronzeugen freiwillig herausgegebenen Unterlagen  entgegenstehen könnten – insbesondere im Hinblick auf eine enge Zusammenarbeit zwischen der EU-Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden und die Wirksamkeit und Funktionsfähigkeit des ECN und des dezentralen Vollzugs des Wettbewerbsrechts.

Dass unionsrechtlich keine entsprechenden Bedenken bestehen, lässt sich dem Urteil des EuGH nun jedenfalls entnehmen.

Der Volltext der EuGH-Entscheidung ist auf der Homepage des EuGH unter Eingabe der GZ C-360/09 abrufbar.

(LexisNexis-Redaktion)

Autoren

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Pfleiderer ist Abnehmer von Dekorpapieren und gab an, in den letzten drei Jahren Waren im Wert von über € 60 Mio von den mit Geldbußen belegten Firmen bezogen zu haben. </p> \n<p> Das <b>Bundeskartellamt</b> <b>begrenzte</b> die <b>Akteneinsicht</b> auf eine um Geschäftsgeheimnisse, interne Unterlagen und Unterlagen im Sinne der „Bonusregelung“ (Kronzeugenregelung) bereinigte Fassung der Verfahrensakte und gewährte auch keine Einsicht in die sichergestellten Beweismittel. </p> \n<p> Das <b>Amtsgericht Bonn</b> hingegen ordnete an, <b>Einsicht auch in die Aktenbestandteile</b> zu gewähren, die der „<b>Bonusantragsteller</b>“ <b>freiwillig</b> der deutschen Wettbewerbsbehörde <b>zur Verfügung gestellt</b> hatte, sowie in die Asservate und Beweismittel. Begrenzt wurde die Akteneinsicht nur in Bezug auf Geschäftsgeheimnisse und interne Unterlagen, dh die Beratungsvermerke des Bundeskartellamts und die Korrespondenz im Rahmen des Europäischen Wettbewerbsnetzes (ECN). 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