Quo vadis MiFID II?
02. Dezember 2013 / Erschienen in Compliance Praxis 4/2013, S. 32
Der Hintergrund
Die 2004 beschlossene EU-Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID I – „Markets in Financial Instruments Directive“) war Bestandteil des „Financial Services Action Plan“ der Europäischen Union. MiFID I besteht aus einer Rahmenrichtlinie, einer Durchführungsrichtlinie und einer Durchführungsverordnung. Die Durchführungsverordnung wurde unmittelbar geltendes Recht.
Insbesondere wurden folgende Aspekte durch die MiFID behandelt:
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Anlegerschutz beim Handel mit Finanzinstrumenten,
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Vor- und Nachhandelstransparenz,
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Dokumentations- und Meldepflichten,
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Marktzugang (europaweit) für Finanzdienstleister.
Seit 2007 haben sich jedoch Märkte und Technologien weiterentwickelt. Die Finanzmarktkrise hat gezeigt, dass die oben genannten Ziele nur eingeschränkt erreicht wurden. Auf dem Finanzmarkt waren erhebliche Störungen der Funktionsfähigkeit zu beobachten, die zum Teil aus dem Ausfall von Marktteilnehmern rührten. Das Ziel des Anlegerschutzes wurde damit nur unvollständig erreicht. Insbesondere wurden aber die Interessen und das Vertrauen der Privat- und Kleinanleger verletzt.
Die Europäische Kommission hat am 20. Oktober 2011 einen Vorschlag zur Überarbeitung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (RL 2004/39/EG vom 21. April 2004, Markets in Financial Instruments Directive – „MiFID“) vorgelegt. Der Vorschlag sieht eine weitergehende Regulierung von Finanzmärkten und Wertpapierdienstleistungen vor und definiert Mindeststandards für verschiedene Bereiche:
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Anforderungen an die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen,
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Anforderungen an die Organisation und Wohlverhaltensregeln von Wertpapierunternehmen,
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Organisatorische Anforderungen an Handelsplätze,
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Zulassung und Pflichten der Erbringer von Datendiensten,
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Befugnisse der Behörden und Sanktionen.
Ziel der weitergehenden Regulierung ist es, die Finanzmärkte effizienter, widerstandsfähiger und transparenter zu machen und den Anlegerschutz zu stärken. Die Richtlinie MiFID II muss in nationales Recht umgesetzt werden.
Darüber hinaus wurde mit MiFIR („Markets in Financial Markets Regulation“) eine neue Verordnung geschaffen, die insbesondere die folgenden Bereiche regeln soll:
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Vor-und Nachhandelstransparenz für fast alle Finanzinstrumente,
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Meldung von Geschäftsdaten an die zuständigen Behörden,
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Verlagerung des Derivatehandels an organisierte Handelsplätze,
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Aufsichtsmaßnahmen zu Finanzinstrumenten und Positionen,
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Erbringung von Dienstleistungen durch Drittlandfirmen ohne Zweigniederlassung.
Die Verordnung MiFIR wird auf europäischer Ebene direkt wirksam.
Die Rolle der neuen Regelungen
Weder MiFIR noch MiFID II und die daraus resultierenden Anforderungen an Märkte und Marktteilnehmer können isoliert betrachtet werden, sondern müssen immer im Kontext einer europäischen Aufsicht und des damit einhergehenden europäischen Regelrahmens und der daraus resultierenden Pflichten und zu treffenden Maßnahmen gesehen werden. MiFID II und MiFIR bilden gemeinsam mit anderen europäischen Regelungen den Kernbestand eines Europäischen Finanzmarktrechts.
Es sind dies insbesondere:
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Die Leerverkäufe VO – VO (EU) Nr 236/2012 über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps (Vorschriften zur Offenlegung von Leerverkäufen, die es den Regulierungsbehörden einfacher machen, mögliche Fälle der Marktmanipulation oder Insider-Geschäfte im Zusammenhang mit Leerverkäufen aufzudecken),
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EMIR (European Market Infrastructure Regulation) – VO (EU) Nr 648/2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (EMIR) (die Transparenz wesentlicher Derivate-Positionen wird erhöht, systemische Risiken für die Marktteilnehmer sollen verringert werden),
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MMVO (Marktmissbrauchsverordnung) – Mit der Überarbeitung der Marktmissbrauchsverordnung (MAD, Kommissionsvorschlag vom 25. Juli 2012), die gemeinsam mit der Neufassung der MiFID vorgelegt wird, soll der Anwendungsbereich der Richtlinie ausgedehnt, die Effizienz erhöht und zu solideren Finanzmärkten beigetragen werden.
Auf die Marktteilnehmer kommt die Herausforderung zu, sich an einen neuen europäischen Aufsichtsrahmen mit immer mehr Rechten anzupassen, insbesondere:
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EBA (Euro Banking Association – die Europäische Bankenaufsichtsbehörde)
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ESMA (European Securities and Markets Authority – die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde)
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EIOPA (European Insurance and Occupational Pensions Authority – die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und betriebliche Altersvorsorge)
Noch nicht geklärt ist das Zusammenwirken nationaler und europäischer Aufsichtsbehörden. Allerdings werden gerade die eher „neuen“ europäischen Aufsichtsbehörden mehr Befugnisse bekommen. Sie werden eine Reihe von Sanktionen, verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und Geldbußen verhängen können. Sie sollen bestimmte Finanzprodukte auch dauerhaft verbieten können. Daneben wird die ESMA direkte Befugnisse haben, Produkte und Dienstleistungen in Notsituationen vorübergehend zu untersagen.
Wen betrifft es?
Grundsätzlich erfasst die MiFID den Handel für eigene Rechnung mit Finanzinstrumenten, wenn Wertpapierdienstleistungen oder Anlagetätigkeiten erbracht werden. Neben den bereits bekannten Adressaten könnten zukünftig auch weitere in die Regulierung mit einbezogen werden.
Kommunale Energieversorger als Verlierer?
Bislang sind Warenhändler, wie Stahlunternehmen oder kommunale Energieunternehmen, die über Finanzmarktinstrumente ihre geplante künftige Produktion absichern, von der MiFID-Regulierung ausgenommen. Da es Ziel von MiFID II ist, möglichst alle Handelsplattformen zu regulieren, erscheint es schwer vermittelbar, ausgerechnet Energieversorgern von Kommunen, die sich im geschützten Bereich der Monopolverteilung bewegten, Ausnahmen zuzugestehen.
Insbesondere kann dies der Fall sein, wenn ein Energieversorger entsprechende Warengeschäfte (dh Optionen, Terminkontrakte, Swaps und alle anderen Derivatkontrakte in Bezug auf Waren) eingeht, um von einer Marktpreisdifferenz zu profitieren, also wenn auf Marktbewegungen spekuliert wird.
Für die Energieversorger ist an der MiFID-Novellierung vor allem relevant, dass sie mehr Tätigkeiten des Energiehandels potenziell aufsichtspflichtig macht. Unter anderem sollen die bisherigen Ausnahmeregelungen erheblich eingeschränkt werden. Wer auch künftig aufsichtsfrei bleiben will, braucht in den meisten Fällen eine so genannte Nebentätigkeitsausnahme: Sie erlaubt, erlaubnisfrei Eigenhandel zu betreiben und Finanzdienstleistungen, insbesondere in Bezug auf Warenderivate, zu erbringen, wenn dies eine Nebentätigkeit zu ihrer Haupttätigkeit darstellt, also nur „nebenbei“ erbracht wird (und das Unternehmen nicht zu einem Bankkonzern gehört).
Erfassung des Emissionshandels?
Der europäische Gesetzgeber verfolgt mit der Erweiterung der von der MiFID II erfassten Finanzinstrumente um Emissionszertifikate das Ziel, den gesamten Emissionshandel unter das Regime von MiFID und der neuen Marktmissbrauchsrichtlinie (und ihrer Verordnung) zu ziehen. Unmittelbar erfasst werden in jedem Falle Unternehmen, die Finanzdienstleistungen erbringen, die Emissionszertifikate zum Gegenstand haben. Diese Unternehmen sind dann verpflichtet, jegliche Handelsaktivität auf Betrug, Missbrauch oder Geldwäsche zu überwachen. Unternehmen, die im Geschäftsbereich des Emissionshandels tätig sind, sind gut beraten, kommende gesetzgeberische Maßnahmen im Auge zu behalten, um gegebenenfalls frühzeitig ihre Organisationsstruktur anzupassen.
Auswirkungen auf andere Branchen
Die Bedeutung der Regelungen MiFID II/MiFiR wird noch unterstrichen, wenn man sich vor Augen führt, dass auch signifikante Auswirkungen auf andere europäische Regelungsvorgaben und Branchen bestehen. Denn MiFID II wird nicht nur vor der IMD (Insurance Mediation Directive, EU-Richtlinie über die Versicherungsvermittlung) verabschiedet, sie hat auch Auswirkungen auf die IMD. Die EU hat bereits mehrfach klar gemacht, dass Versicherungs- und Kapitalanlagemarkt nicht mit zweierlei Maß gemessen werden.
Am 3. Juli 2012 veröffentlichte die EU-Kommission ihren Richtlinienentwurf zur IMD2 – die neue Vermittlerrichtlinie. Hiernach werden zB Versicherungsvertreter zur Offenlegung verpflichtet. Darüber hinaus müssen Versicherer (auch Direktversicherer) alle Kosten im Zuge der Vermittlung bekanntgeben, und es besteht unter bestimmten Voraussetzungen ein Courtage-Verbot für Makler. Hinzu kommen noch erheblich erweiterte Informationspflichten sowie explizite Regelungen zur Vermeidung von Interessenkonflikten. Diese Regelungen gehen unmittelbar auf das MiFID II-Regime zurück.
Auf welche Unternehmensteile wirken sich die neuen Regeln aus?
Anhand der zuvor beschriebenen Wirkungsbereiche lässt sich sagen, dass die Regeln nach MiFID II innerhalb eines Finanzinstituts auf nahezu sämtliche Unternehmensbereiche auswirken. Nimmt man die typischen Organisationseinheiten eines Finanzdienstleisters als Beispiel, so wird man die in Abbildung 1 involvierten Einheiten identifizieren.
Durch MiFID II und MiFIR wird nahezu jeder Bereich der Wertschöpfungskette eines Finanzdienstleistungsunternehmens tangiert. Wertpapierfirmen und Kreditinstitute müssen daher ihre strategische Ausrichtung neu bewerten, bestehende Prozesse optimieren, neue Prozesse entwickeln und umfangreiche IT-Anpassungen vornehmen. In den Bereichen Reporting und Aufsicht stehen die Häuser vor der Herausforderung der Erweiterung bzw der Neuerstellung von Reporting-Prozessen in der Handelsabwicklung und im Meldewesen.
Wo steckt der meiste Aufwand?
Vor allem die Anpassung an die neuen Corporate-Governance-Regeln, die erhöhten Anforderungen an den Anlegerschutz und an das Reporting werden einen nicht zu unterschätzenden Einführungs- und Umsetzungsaufwand erfordern.
Corporate Governance
Eine wesentliche Neuerung der überarbeiteten MiFID sind die Anforderungen an die Leitungsorgane der Regelungsadressaten. Sie müssen ausreichend gut beleumdet sein, ausreichende Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen besitzen und der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ausreichend Zeit widmen. Insbesondere der letzte Punkt dürfte für eine Einschränkung sogenannter „Teilzeit-Aufsichtsratsmandate“ sorgen. Ferner sind Wertpapierfirmen verpflichtet, eine Strategie zur Förderung der Diversität einzuführen, nach denen sie die Mitglieder des Leitungsorgans bestellt. Hier sei auf die in einigen europäischen Ländern geführte sogenannte Gender-Diskussion verwiesen. Es mag verwundern, dass dieser Punkt gerade Einzug in eine solche Regelung hält.
Anlegerschutz (Vertriebsprovisionen)
Finanzanlageberater und -vermittler müssen künftig ihre Kunden vorab informieren, ob sie unabhängig beraten oder nicht. Behauptet der Anlageberater, unabhängig zu sein, muss er unter anderem Finanzinstrumente und Emittenten streuen, sie dürfen in keiner engen Verbindung zu ihm stehen. Darüber hinaus muss der unabhängige Berater Kenntnis einer ausreichenden Zahl verschiedener auf dem Markt angebotener Finanzinstrumente haben. In diesem Falle ist ein vollständiges Verbot von Gebühren, Provisionen und anderen monetären Vorteilen von dritter Seite zu beachten. Im Klartext bedeutet das: Der Berater wird entweder direkt von den Anlegern bezahlt und kann sich weiter „unabhängig“ nennen oder er erhält zB Provisionen von Dritten, darf dann aber nicht mehr das Attribut „unabhängig“ verwenden.
Gerade das Thema „umfassendes Provisionsverbot“ wurde im Rahmen des europäischen Gesetzgebungsprozesses kontrovers diskutiert. Zeitweise ging die Tendenz zu einer reinen honorarbasierten Beratung. Ursprünglich hatte EU-Kommissar Barnier dies in einem Entwurf vorgesehen. Man möge sich vorstellen, was dies für Geschäftsmodell und Organisation der Regelungsadressaten bedeutet hätte. Gleichwohl ist darauf zu achten, dass die Provisionen transparent sind oder an den Kunden weitergegeben werden oder für die Bereitstellung eines Produktes notwendig sind. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Themenkomplexe Vertriebsprovisionen und Vergütungsmodelle im Rahmen der inhaltlichen Neuregelungen den größten Stellenwert einnehmen dürften.
Die Bedeutung für die Unternehmens-Compliance
Beachtet man die dargestellten Wirkungskreise der Neuregelungen sowie die betroffenen Organisationseinheiten innerhalb des Unternehmens, so stellt sich die Frage, auf welche Unternehmenseinheiten der meiste Aufwand im Rahmen der Umsetzung zukommt.
Hierbei dürfte die Unternehmens-Compliance an erster Stelle stehen. Compliance soll das tägliche Business unterstützen. Laut dem ESMA-Leitfaden über MiFID-Anforderungen an Compliance-Funktion vom 22. Dezember 2012 sollen das Compliance-Monitoring und die Beratung sowie die Allokation der Ressourcen mithilfe eines risikobasierten Ansatzes bestimmt werden. Hierbei soll das Monitoring-Programm die Veränderungen im Risikoprofil widerspiegeln.
Weiterhin sollte Compliance bei Akquisen, Einführung neuer Produkte, Erschließung neuer Märkte, Änderung der IT-Systeme und Reorganisation konsultiert werden. Compliance soll regelmäßig an das Senior-Management/den Aufsichtsrat und unmittelbar (!) an Aufsichtsbehörden berichten.
Des Weiteren müssen Schulungen der Mitarbeiter sowie eine Förderung des Compliance-Bewusstseins innerhalb des Unternehmens erfolgen. Neben der präventiven Vorbereitung auf relevante bzw zukünftig geplante Veränderungen von aufsichtsrechtlichen Rechtsvorschriften muss eine Unterstützung bei täglichen Compliance-Fragen, Beratung bei strategischen Entscheidungen und Entwicklung neuer Business-Modelle erfolgen.
Zeitplan
Am 20. Oktober 2011 hat die EU-Kommission einen Vorschlag zur Änderung der geltenden Finanzmarktrichtlinie MiFID (2004/39/EG, „MiFID I“) angenommen. Der Vorschlag gliedert sich in zwei Legislativvorschläge, eine Richtlinie („MiFID II“) und eine Verordnung („MiFIR“). Knapp ein Jahr später, am 26. Oktober 2012, hat das EU-Parlament seine diesbezügliche Stellungnahme abgegeben. Am 21. Juni 2013 kam es, nach langen Diskussionen, auch innerhalb des EU-Rats zur Einigung zu den Fragen des Vorschlags der EU-Kommission. Angestrebt ist ein Beschluss des EU-Parlaments für Dezember 2013. Das sogenannte „Going-Live“ für die Unternehmen dürfte nicht vor 2015 zu erwarten sein.
Herausforderungen für die Unternehmen
Aktuell dürften viele Unternehmen ihre Vorstudien abgeschlossen haben. Teilweise wurden bereits Umsetzungsprojekte gestartet, allerdings angesichts der immer weiteren Verschiebung „auf Eis gelegt“. Trotz der noch ausstehenden finalen Regelungen, ist der allgemeine Kurs der MiFID-Reform klar. Die größte Herausforderung dürfte in der Bestimmung der Auswirkungen auf Rentabilität und Geschäftsstruktur stecken. Im Folgenden sind Interdependenzen zu anderen regulatorischen Veränderungen zu untersuchen, um Schwerpunkte zu setzen und Synergien bei der Implementierung zu nutzen bzw Redundanzen zu vermeiden.
Autoren
Dipl.-Wirtsch.-Ing. Sven Hirsekorn MBA
Dipl.-Wirtsch.-Ing. Sven Hirsekorn, MBA berät seine Kunden rund um die Themenbereiche Compliance, Corporate Governance und Risikomanagement. Er ist Associate Partner im Hamburger Büro von Q_PERIOR ...
Christian Brockhausen MBA
Christian Brockhausen, MBA ist Principal Consultant bei der Q_PERIOR AG in Frankfurt am Main und verantwortet den Bereich Compliance und Regulatorik. Zudem ist er zertifizierter Datenschutzbeauftra...