Wie lässt sich an der Schnittstelle zwischen (Partei-)Politik und staatsnaher Wirtschaft das Korruptionsrisiko senken? Ein Gespräch aus aktuellen Anlässen mit Franz Fiedler: Der ehemalige Rechnungshofpräsident hält von Generalprävention mehr als von Repression und plädiert neben schärferen Rechnungshofkompetenzen für ein umfassendes Informationsfreiheitsgesetz.
Von Mag. Klaus Putzer 03. Dezember 2019 / Erschienen in Compliance Praxis 4/2019, S. 8
Im Interview
Dr. Franz Fiedler, Jahrgang 1944, ist Ehrenpräsident des Beirats von Transparency International – Austrian Chapter (TI-AC), war als Richter und Staatsanwalt tätig und von 1992 bis 2004 Präsident des Österreichischen Rechnungshofs. Von 2003 bis 2005 hatte Dr. Fiedler den Vorsitz des Österreich-Konvent inne, der die österreichische Bundesverfassung neu ordnen sollte. Er gilt seitdem als eine der kompetentesten überparteilichen Stimme für eine korruptionsfreie und transparente Republik.
Compliance Praxis: Mit „Ibiza“ und der „Casinos-Affäre“ haben im laufenden Jahr gleich zwei Skandale die politische Landschaft erschüttert. Erstaunlich ist, dass in den Zeitungen detaillierteste Auszüge aus Ermittlungsakten nachzulesen sind. Hat es so etwas früher auch schon gegeben?
Franz Fiedler: Korruption, Bestechung und Postenschacher im öffentlichen und halböffentlichen Bereich sind kein neues Phänomen. Neu ist, dass aufgrund der modernen Technik die Möglichkeiten der Nachforschungen einiges an Fahrt aufgenommen haben. So etwas wie das Ibiza-Video wäre vor nicht allzu langer Zeit nicht ohne weiteres möglich gewesen. Chatprotokolle, wie sie nun von der Staatsanwaltschaft ausgewertet werden, gab es in dieser Form und Dichte nicht. Die Möglichkeit, dass man umfangreiche Kommunikation innerhalb kurzer Zeit für die Anklage nutzbar machen kann, ist neu. Die Probleme sind aber im Grunde uralt.
In den Medien sind die Namen der Beschuldigten dauerpräsent. Stellt das nicht eine massive Vorverurteilung dar?
Man ist in den letzten zwei, zweieinhalb Jahrzehnten etwas großzügiger geworden, was die Berichterstattung über laufende Verfahren anlangt. Wurde früher jemand in den Medien in irgendeiner Weise in Verdacht gebracht, konnte er dagegen recht erfolgreich gerichtlich vorgehen. Heute genügt es in der Regel, wenn Journalisten nach einer ganzen Fülle von Verdachtsmomenten schreiben „Es gilt die Unschuldsvermutung“. Man kann diskutieren, ob das gut oder schlecht ist. Zweifellos hat es eine gewisse generalpräventive Wirkung für all jene, die sich in Gedanken ergehen, Korruption zu begehen. Für ein etwaiges späteres Gerichtsverfahren ist es andererseits problematisch, weil ja die Delikte, die im Zusammenhang mit den jetzt in Rede stehenden Fakten angeklagt werden könnten, in Schöffenverfahren verhandelt werden. Bei den Schöffen kann eine mediale Berichterstattung einen derart bleibenden Eindruck hinterlassen, dass sie nicht mehr genau zwischen bloßem Verdacht und Fakten unterscheiden können. Aber ich glaube, damit werden wir leben müssen. Die jetzt sehr deutlich artikulierte Medienberichterstattung führt zu größerer Transparenz und diese ist insgesamt generalpräventiv.
Können solche Skandale als Katalysator für neue Gesetze dienen?
Die Notwendigkeit, neue Gesetze zu beschließen, kann sich nach solchen Affären ergeben. Ich halte die bestehenden Gesetze im strafrechtlichen Bereich für ausreichend, im außerstrafrechtlichen Bereich sollte unbedingt etwas geschehen, und zwar auf präventiver Seite. Es gibt seit vielen Jahren die Forderung, die Prüfungskompetenz des Rechnungshofs, die derzeit erst bei einer öffentlichen Quote ab 50 Prozent greift, auf alle Unternehmen mit einem Staatsanteil von mindestens 25 Prozent auszuweiten. Das ist keine willkürliche Zahl, sondern eine, die im Aktienrecht verankert ist, weil sie ein Abblockungspotenzial bildet, etwa wenn es um Kapitalerhöhungen oder -herabsetzungen, die Umwandlung der AG in eine GesmbH und Ähnliches mehr geht. Zum Zweiten sollte für alle vom Rechnungshof geprüften Unternehmen und Organisationen ein Informationsfreiheitsgesetz geschaffen werden, wonach jeder interessierte Staatsbürger das Recht hat, über relevante Vorgänge Auskunft zu begehren. Eine weitere Steigerung dessen wäre, dass diese Organisationen proaktiv relevante Vorgänge im Internet zur Verfügung stellen. In Österreich gab es in der vorletzten rot-schwarzen Regierung einen Gesetzesentwurf dazu, der allerdings nicht genügend Rechte für die Staatsbürger geboten hätte. Auch hätte dieses Gesetz keinen Informationsfreiheitsbeauftragten vorgesehen.
Es gibt Bedenken, dass durch so ein Gesetz Geschäftsgeheimnisse gerade auch von nicht-staatlichen Anteilseignern berührt werden könnten. Auch Vorstandbestellungen laufen ja meist diskret ab und nicht auf offener Bühne.
Es gibt natürlich Schranken, wenn es etwa um militärische Themen oder höchstpersönliche Rechte geht. Nach meiner Erfahrung wird das aber meistens übertrieben. Man versucht, alle möglichen Vorgänge, die nicht geheimhaltungswürdig sind, als unbedingt von der Öffentlichkeit auszuschließende darzustellen. Solange die Bestellung eines Vorstandsposten in einer AG läuft, wäre der Vorgang natürlich vertraulich. Aber im Nachhinein kann der Prozess ohne weiteres dokumentiert werden. Ich sehe keine Notwendigkeit, die Frage geheim zu halten, welche Voraussetzungen für eine bestimmte Stelle mitzubringen sind. Die Öffentlichkeit kann sich ein Bild davon machen, ob die Bedingungen gerechtfertigt sind, ob sie zu eng geschnitten sind – möglicherweise auf einen Kandidaten hin – oder zu weit gefasst, sodass Kandidaten ohne ausreichende Kompetenzen Chancen auf die Position hätten. Auch die Beurteilung der Kandidaten durch ein Gremium oder einen Experten sollte publiziert werden, man muss ja nicht in Einzelheiten gehen.
Erfahrungsgemäß ziehen sich Ermittlungen und Prozesse zu Korruption und Untreue über Jahre, enden vielleicht mit einem Freispruch. Bei „Skandalen“ erwartet die Öffentlichkeit hingegen schnelle Ergebnisse. Untergräbt die schleppende strafrechtliche Aufarbeitung derartiger Sachverhalte das Vertrauen in die Justiz?
Die Aufklärung solcher Vorgänge in strafrechtlicher Hinsicht ist notwendig. Und es ist unbedingt notwendig, dass eine solche Untersuchung im ersten Stadium bis zur Anklageerhebung – sollte es zu einer solchen kommen – und erst recht bis zu einer Urteilfällung in überschaubarer Zeit abgeschlossen wird. Das ist bedauerlicherweise in den letzten zwei Jahrzehnten nicht immer anzutreffen gewesen. Ich stimme nicht in den allgemeinen Klagechor ein, die Justiz arbeite grundsätzlich und vor allem im strafrechtlichen Bereich zu langsam, aber es gibt natürlich einige Extremfälle.
Transparency International – Austrian Chapter (TI-AC) fordert von der künftigen Regierung eine „unabhängige“ Justiz. Wo ist denn die Justiz jetzt noch zu abhängig von der Politik?
Bei Gericht gehe ich nicht davon aus, dass die Justiz abhängig ist, denn Richter sind in Österreich traditionell unabhängig. Anders die Situation bei den Staatsanwälten, wo die oberste Weisungsspitze beim Bundesminister für Justiz angesiedelt ist – einer Person, die politisch besetzt wird. Wenn letztlich ein Politiker darüber entscheidet, was angeklagt wird und was nicht, dann wird in der Öffentlichkeit der Verdacht geweckt, dass nicht allein sachorientierte Überlegungen in die Entscheidungen einfließen, sondern auch sachfremde, sprich politische oder parteipolitische. In Ländern, in denen unabhängige General- oder Bundesstaatsanwälte entscheiden – wie in vielen Reformstaaten des Ostblocks oder auch in Italien – kommen solche Verdachtsmomente gar nicht auf. In Österreich hat man davor zurückgescheut. Man hat zwar den sogenannten Weisungsrat – später Weisenrat – eingeführt, was aber nichts daran ändert, dass über dem Weisenrat immer noch der Minister steht, der sich über dessen Empfehlungen hinwegsetzen kann – und sogar muss, wenn er nicht die gleiche Meinung vertritt.
Zurückkommend auf die staatsnahe Wirtschaft. Wenn es keinen politischen Zugriff auf Unternehmen gibt, dann erledigt sich auch die Korruptionsproblematik. Halten Sie die derzeitigen Unternehmensbeteiligungen von Bund, Ländern und Gemeinden für alternativlos?
Wir haben nach dem zweiten Weltkrieg durch die Verstaatlichungsgesetze einen extrem hohen Beteiligungs-Anteil der öffentlichen Hand an Unternehmungen bekommen. Das war damals sinnvoll, weil man so den Zugriff aus dem Ausland auf heimische Betriebe verhindern konnte. In weiterer Folge hielt man dann allerdings an den Beteiligungen fest, ohne sich die entscheidende Frage zu stellen, ob man sie braucht. Gebietskörperschaften sollten sich wirklich die Frage stellen, was sinnvoll ist und was nicht. Am Beginn der 80er Jahre wurde Privatisierungen großer Raum gegeben. Allerdings hat man da im Wesentlichen Pleitebetriebe abgegeben. Das mag auch eine sinnvolle Überlegung gewesen sein, aber keine tiefgreifende. Auf der anderen Seite wurde unter dem Stichwort „weniger Staat, mehr Privat“ mit der Austria Tabak eine ausgesprochene Cashcow privatisiert. Der Staat muss sich also die Frage stellen, was er will. Will er abkassieren oder Einfluss auf bestimmte Sektoren nehmen?
TI-AC fordert von der künftigen Bundesregierung, Compliance-Management-Systeme für alle Parteien und alle Unternehmen ab 50 Mitarbeitern verpflichtend zu machen. Was müssten zentrale Elemente solcher Systeme sein, damit sie wirksam sind?
Diese müssen alle unternehmensrelevanten Vorgänge in irgendeiner Weise betreffen. Vor allem die besonders korruptionsgefährdeten, wie Postenbesetzungen, Vergaben oder Spenden und Sponsoring. Wenn ich etwa politische Parteien subventioniere – das ist ja nicht verboten –, stellt sich die Frage: Warum tue ich das? Das sollte schon auch in Betrieben ab 50 Mitarbeitern klar geregelt werden. Was die Strukturen anlangt, kann man generell sagen, dass dort, wo Gremien beteiligt sind, die Korruptionsgefahr sinkt. Oder zum Thema Whistleblower: Dazu gibt’s im öffentlichen Bereich viele schöne Worte, da steht, wer als Whistleblower tätig wird, dürfe keinen dienstlichen Nachteil erleiden. Schön gesagt, aber das muss bitte näher ausformuliert werden! In privaten Unternehmen gibt’s dafür überhaupt noch nichts.
Im privaten Bereich ist Compliance-Management „State of the Art“, allerdings eher bei größeren Unternehmen. Kleinere argumentieren häufig, dass entsprechende Strukturen mit Investitionen verbunden sind, die „nicht produktiv“ seien.
Was ist in Österreich ein kleines Unternehmen? Wir sind ein Staat der KMU. Jetzt kann ich einer Firma mit drei Leuten nicht auftragen, einen Compliance Officer zu bestellen. Aber 50 Personen sind für österreichische Begriffe gar nicht so klein. Erst einmal ein Regelwerk zu schaffen, kann kein Problem sein. Dann sollte auch jemand dafür sorgen, dass dieses Regelwerk nicht totes Papier bleibt. In KMU kann das jemand sein, der vielleicht nicht ausschließlich damit betraut ist. Grundsätzlich ist jede Kontrolltätigkeit mit Mehrkosten verbunden. Auch der Rechnungshof kostet etwas. Nur die Tatsache allein, dass es ihn gibt, ist dermaßen heilsam, dass seine Existenz nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Im wesentlich kleineren Rahmen eines KMU ist das für den Compliance Officer ähnlich zu sehen. Die Ausrede, das sei nicht produktiv, lasse ich so nicht zu, denn letztlich macht sich Korruptionsbekämpfung á la longue immer bezahlt.
Bei den publik gewordenen Skandalen zeigt sich, dass potenzielles Fehlverhalten auf der obersten Ebene stattfindet, sowohl in Parteien als auch in Unternehmen. Das ist frustrierend für Compliance-Beauftragte, die eigentlich ihr Bestes geben wollen, in die entscheidenden Prozesse aber gar nicht eingebunden werden.
Interne Revision und Compliance sollten unmittelbar dem CEO unterstellt sein, im öffentlich-rechtlichen Bereich dem Minister, Landeshauptmann oder Bürgermeister. Das hat den Vorteil, dass alles andere von diesen Personen ohne Rücksicht auf Verluste geprüft werden kann. Wenn die oberste Spitze – und so soll es nach Meinung von TI-AC auch sein – immer Berichtsempfänger von Compliance Officer und Interner Revision ist, dann kann damit Korruption auf dieser Ebene nicht ohne weiteres abgestellt werden. Im öffentlichen Bereich könnte durch Informationsfreiheitsgesetz und Rechnungshofkontrolle hier Einhalt geboten werden. Irgendwo gibt’s natürlich auch innerhalb der Unternehmen eine Grenze. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine korrupte Vorstandsebene jahrzehntelang ihre Untaten verrichten kann, ohne dass es aufgedeckt wird.
Der besprochene Komplex ist stark mit dem Thema Parteienfinanzierung verknüpft. Wie könnte die Parteienfinanzierung in Österreich transparenter gemacht werden?
In erster Linie dadurch, dass der Rechnungshof vollen Einblick erhält. Derzeit darf er sich bei bestehenden Zweifeln den jährlichen Rechenschaftsbericht der Parteien ansehen. Können die Bedenken nicht ausgeräumt werden, darf er einen Steuerberater mit einer Prüfung beauftragen, selbst aber nicht prüfen. Das ist ein Riesen-Nachteil. Die jetzige Regelung ist so, als wenn die Kriminalpolizei von einem Mord erfährt, selbst aber keine Tatortbegehung vornehmen darf, sondern einen Privatdetektiv damit beauftragen muss. Genauso wäre die Prüfung der Parteien eine ureigene Tätigkeit des Rechnungshofs. Er darf ja auch – das ist vielfach nicht bekannt – die öffentlichen Zuwendungen an Parteien und Akademien und Parlamentsclubs einer Prüfung unterziehen, ob aber die Spenden nach dem Parteiengesetz eingehalten wurden, darf er nicht untersuchen.
Sollte illegale Parteienfinanzierung ein Straftatbestand werden, so wie in Deutschland?
Es wird gefordert, dass man die derzeitigen Verwaltungsstrafen in ein gerichtliches Strafsystem überführt. Ich will mich dem nicht zur Gänze verschließen, halte das aber nicht für das entscheidende System. Entscheidend ist, dass präventiv vorgesorgt wird: Allein die Tatsache einer möglichen Rechnungshofprüfung wirkt abschreckend. Überhaupt bin ich der Meinung, dass gerade im Bereich der Korruptionsbekämpfung die Prävention viel wichtiger ist als die Repression!
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Mag. Klaus Putzer war von 2010 bis 2023 Redakteur bzw. Chefredakteur der Compliance Praxis. Zuvor war er in mehreren Verlagen als leitender Redakteur im Magazinbereich tätig bzw. arbeitete als frei...