Compliance Praxis: Sie haben eine Compliance-Initiative für Medien initiiert und gemeinsam mit „Presse“ und „Wirtschaftsblatt“ im Sommer vorgestellt. Was hat am Pressekodex, dem Ethikleitfaden für Journalisten, gefehlt?Alexandra Föderl-Schmid: Zwei entscheidende Dinge haben gefehlt. Einerseits die Frage, wie man mit Pressereisen und Geschenken umgeht. Das versuchten wir mit einem eigenen Weg zu regeln. Andererseits gelten seit 2006 EU-weit Bestimmungen betreffend Finanzberichterstattung. In Österreich ist nur ein sehr kleiner davon Teil reguliert und zwar Empfehlungen für Geldanlagen, aber nicht, wie man mit dem Thema generell umgehen soll. Wenn jemand Aktien eines Unternehmens hält, soll er nicht über dieses Unternehmen berichten; das ist der Komplex, den ich für wichtig halte und der in anderen Ländern – nicht in Österreich – auch klar geregelt ist. Das Mini-Segment Geldanlageberichterstattung betrifft den „Standard“ hingegen kaum. Wie haben ihre Wirtschaftsredakteure auf die Vorschrift reagiert, dass sie keine Aktien österreichischer Unternehmen besitzen dürfen?Wir haben darüber diskutiert, aber im „Standard“ war dieses Prinzip eigentlich schon länger Usus. Die Wirtschaftsredaktion war in die Erarbeitung voll eingebunden, es gab also weniger Diskussionen, als vielmehr Verbesserungsvorschläge. Die Empfehlung an alle Mitarbeiter, keine Wertpapiere österreichischer Unternehmen zu besitzen oder zu kaufen, hat also keine Friktionen erzeugt?Nein, weil wir das intern immer so gelebt haben. Ihre Compliance-Initiative war ursprünglich breiter geplant, vor allem Qualitätszeitungen sollten mit eingebunden werden.Nicht nur, alle waren eingeladen! Mit welchen Begründungen haben Sie Absagen erhalten?Wir diskutierten im Verein der Chefredakteure darüber, sogar schon über Textvorschläge wurde debattiert. Als es darum ging, die Vorschläge umzusetzen, blieben plötzlich nur noch „Presse“ und „Standard“ übrig. Das „Wirtschaftsblatt“ war bei diesen Terminen nicht dabei, hat sich aber dann eingeklinkt. Die Ausflüchte waren verschiedene: Es hieß, der Verleger sei der Meinung, dass mit Ethikregeln schon alles abgedeckt wäre – was nicht stimmt! Oder: Wir machen selbst eigene Regeln, die sogar Kleidungsvorschriften beinhalten … Ich hätte mir eine breitere Beteiligung gewünscht. Würden Sie sich wünschen, dass der Österreichische Presserat – wie in Großbritannien – Strafen erlassen kann und nicht nur Mahnungen aussprechen darf?Das würde natürlich dem Presserat mehr Durchgriffsmöglichkeit bieten. Aber es ist gut, dass das Modell Presserat wieder existiert – bekanntlich gab es eine achtjährige Pause. Nachschärfen kann man immer. Würden Sie sich das wünschen, oder genügt das bestehende Modell?Ich würde mir wünschen, dass alle Medien daran teilnehmen. Einige Medien, vor allem Boulevardmedien, unterwerfen sich nach wie vor nicht dieser Selbstverpflichtung. Haben Sie die neuen Leitlinien nicht nur nach außen, sondern auch intern noch einmal eigens kommuniziert?Wir haben im Vorfeld, um zu diesem Ergebnis zu kommen, Diskussionsrunden im Haus organisiert, auch auf Ressortebene. Die Kolleginnen und Kollegen waren bei der Erarbeitung des Entwurfs also eingebunden. Insofern musste die offizielle Verabschiedung intern nicht mehr groß kommuniziert werden. Es war dann die Entscheidung von „Presse“, „Standard“ und „Wirtschaftsblatt“, mit der Initiative gemeinsam am 13. Juni an die Öffentlichkeit zu gehen, in der Hoffnung, ein wenig mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen und vielleicht auch einige Kolleginnen und Kollegen zur Teilnahme zu motivieren. Das ist aber bisher nicht passiert?Nein. Aber vielleicht lesen alle unser Interview und dann gibt’s einen Run. Haben die Leitlinien die tägliche redaktionelle Arbeit in irgendeiner Weise verändert?Wir diskutieren mehr, vor allem über Kennzeichnungen, Pressereisen oder Einladungen von Politikern. Das Bewusstsein, dass mit Einladungen auch problematische Aspekte verbunden sein können, ist in der Redaktion gewachsen – der Diskussionsbedarf auch, aber das ist ja Sinn der Sache. Ist auch der Diskussionsbedarf mit der Anzeigenabteilung gewachsen?Nein. Wir haben diese vorher über die Pläne informiert und das war‘s dann auch. Seither wurde nicht mehr darüber gesprochen. Jedenfalls ist bis zu mir nichts vorgedrungen. Eher überwogen positive Reaktionen, wie etwa von „Respect.net“. Die Initiative ist ja nicht nur nach innen gerichtet, sondern durchaus auch nach außen. In informellen Gesprächen, etwa mit Bankchefs, manifestierte sich schon länger Unsicherheit: Kann man die Reise nach XY überhaupt noch machen? Solche Fragen versuchten wir, in schriftlicher Form, nach allen Seiten hin klarer zu regeln. Ich verhehle nicht, mir sämtliche im deutschsprachigen Raum verfügbare Kodizes angeschaut zu haben. Das Regelbuch von Reuters umfasst zum Beispiel 700 Seiten. So etwas halte ich für nicht mehr praktikabel. Ich wollte es kurz und knapp halten. Das Ziel der gemeinsamen Initiative wäre immer gewesen, Mindeststandards zu formulieren. Kleidungsvorschriften oder Regelungen zum Alkoholkonsum im Dienst, wie sie in einem anderen Verlag diskutiert werden, halte ich für entbehrlich. So etwas hat in Leitlinien zur Sicherung der journalistischen Unabhängigkeit nichts verloren. Sie schreiben in Ihrem Buch zur Theodor-Herzl-Vorlesung, „Journalisten müssen supersauber sein“, dass Sie keine teuren Einladungen, etwa zu den Salzburger Festspielen, mehr annehmen.Die habe ich überhaupt nie angenommen. Als ich 2007 im ersten Jahr in der Chefredaktion saß, kamen mehrere Einladungen zu den Salzburger Festspielen. Das geht über übliche Repräsentationspflichten hinaus und ich habe „Nein“ gesagt. Dann galt das Umkehrprinzip, das heißt, ich musste erklären, warum ich die Einladung ausschlage. Im selben Jahr hat man über Reisegutscheine für den Polizeipräsidenten Horngacher diskutiert, im Wert von 100 Euro … Da hat sich aber schon etwas getan in letzter Zeit. Auch im Bewusstsein vor allem deutsch geführter Unternehmen. Wenn eine Einladung von VW zum Konzert nach Wien kommt, steht drauf: Sie müssen darauf achten, ob die Einladung mit den Compliance-Vorschriften übereinstimmt. Klammer: Die Einladenden gehen davon aus, dass man Compliance-Vorschriften hat. Gegenüber österreichischen Unternehmen müssen Sie noch öfter etwas erklären?Ich nicht mehr. Da habe ich schon einen gewissen Ruf. Manche Dinge lassen sich ohnehin mit Hausverstand regeln. Wir haben zum Beispiel keine genaue Zahl in den Leitlinien, bis zu welchem Betrag – 50 oder 100 Euro, wie bei manchen deutschen Verlagen – Einladungen angenommen werden dürfen. Wir haben bewusst die Formulierung „Einladungen, die über freundliche Gesten hinausgehen“ verwendet. Manchmal kann schon eine Einladung, die nicht genau zu beziffern ist, kompromittierend sein. Hintergrundgespräche, die mit einem Abendessen verbunden sind, sind allerdings auch wichtig, um auf demselben Informationsstand wie Kollegen zu bleiben.Ja, aber es muss ja nicht im Gourmetlokal sein. Hintergrundgespräche und Abendessen ja, aber nicht in der Luxuskategorie. Das kann man anderswo auch diskutieren. Hat sich da etwas geändert?Ja, und ich glaube bei Unternehmen mehr als bei den Journalisten. Führen Sie das auch auf das neue Compliance-Bewusstsein zurück?Durchaus. Der Telekom-Skandal hat hier sehr viel bewirkt. Wir alle müssen uns dem Thema stellen, Dinge ändern sich auch. Ich habe jahrelang von Air Berlin Presserabatt für bestimmte Flüge in Anspruch genommen. Das würde ich nicht mehr tun. Mittlerweile hat Air Berlin die Vergünstigung für Journalisten abgeschafft. Ebenso haben die ÖBB die „Vorteilscard Presse“ für Journalisten eingestellt. Da ist etwas im Wandel. Wo man sich früher nichts gedacht hat, denkt man sich jetzt etwas. Das ist gut so. Sie nennen in Ihrem Buch Distanzlosigkeit und „Verhaberung“ als zwei Defizite der Presse in Österreich. Dürfen Journalisten mit Akteuren aus Politik und Wirtschaft per Du sein?Dürfen schon, aber es macht ihre Arbeit nicht leichter. Ich bin mit keinem Politiker per Du. Ausnahme ist ein grüner Landesrat, den ich aus seiner früheren Tätigkeit als Lehrer kenne. Ich finde, das Du macht anfälliger oder andersherum: Wenn man mit einem Politiker per Du ist, fällt eine kritische Berichterstattung schwerer. Das ist so. Es gibt auch Situationen, wo man damit umgehen kann. Wenn beiden Seiten bewusst ist: Ich weiß, Du stehst jetzt auf der anderen Seite. Aber das ist nicht immer gegeben. Was kann man tun, um Grenzen zu ziehen?Es ist eine Gratwanderung. An manche Informationen kommen Journalisten nur über den direkten Kontakt. Der Kontakt darf aber nicht so eng sein, dass daraus eine Beißhemmung entsteht. In Österreich herrscht ein sehr selbstreferenzielles System, eine Bubble. Das gibt es in anderen Ländern auch, aber in Österreich herrscht oft eine ungute Nähe. In Deutschland findet der Dialog eher auf Augenhöhe statt. In Brüssel ist die „Bubble“ noch viel ausgeprägter; jeder Journalist, egal ob aus Malta oder aus Deutschland, verfügt über die gleichen Zugänge. Allerdings kommt es auf das professionelle Auftreten an, ob Kontaktpersonen Papiere herausgeben. Das hängt nicht davon ab, ob ich mit jemandem am Abend auf ein Bier gehe, sondern damit, wie ich mit Dingen, die man mir anvertraut, umgehe. Anders in Österreich. Vor kurzem luden Bankchefs Chefredakteure zum Hintergrundgespräch ein. Einerseits sollten wir nicht darüber berichten, andererseits uns die Argumente doch zu eigen machen – aber nicht offiziell. Auch die Vermischung von Rollen ist hierzulande ein Problem; was ist der Herr Fellner: Ist er der oberste Journalist oder ist er der oberste Anzeigenverkäufer seiner Zeitung? Das Gegenteil von Beißhemmung sind Vorverurteilungen in der Justizberichterstattung. Müsste man nicht manchmal einen Bericht nicht bringen? Beispielsweise über eine Anzeige, die irgendjemand gegen irgendjemanden eingebracht hat, obwohl die Schuldfrage noch nicht annähernd geklärt ist.Das muss man von Fall zu Fall entscheiden. In Deutschland darf in solchen Stadien gar nichts berichtet werden. Ich bezweifle, ob das unbedingt gut ist. In manchen Fällen hat die Berichterstattung dazu geführt, dass die Justiz nachgegraben hat, wo ja jahrelang die Tendenz herrschte, im politischen Bereich nicht so genau hinzuschauen. Dass gegen die halbe Kärntner Landesregierung Anklage erhoben wird, hätte es vor ein paar Jahren wahrscheinlich nicht gegeben. Sie sehen die Rolle der Medien hier positiv im Beschleunigen juristischer Prozesse.Prinzipiell ja. Natürlich hat der investigative Journalismus seine Grenzen. Auch Reaktionen auf Leserseite sind relevant. Zum Beispiel kam kurz vor der vorletzten Nationalratswahl ans Licht, dass der ehemalige Bundeskanzler Franz Vranitzky vom Investmentbanker Wolfgang Flöttl eine Million erhalten hatte. Wofür? Das haben wir einige Tage vor der Nationalratswahl veröffentlicht. In der Steiermark stornierten daraufhin SPÖ-Sympathisanten flächendeckend ihre Abonnements, mit dem Argument, so eine Geschichte vor der Wahl sei schädlich. Es war aber notwendig. Problematischer finde ich, dass durch diese Art der Berichterstattung die Politikverdrossenheit gefördert wird. Aber sie ist trotzdem notwendig. Hat diese Art der Berichterstattung auch dazu geführt, dass Unternehmen mehr klagen?Ja, absolut. Es hat sich aus dem Feld der Politik extrem in Richtung Wirtschaft verschoben. Das heißt nicht unbedingt, dass Klage eingebracht wird. Aber Juristen werden eingeschaltet. Wir sind dann damit beschäftigt, Briefe von Anwälten zu beantworten, was nicht nur Geld kostet, sondern auch in der Redaktion Kräfte bindet. Da hat sich etwas verschoben in Richtung Unternehmensseite. Wie erklären Sie sich das?Die Politiker sind vielleicht gelassener geworden. Und die Unternehmen weniger gelassen?Vielleicht liegt die Ursache bei verschärften Rechtsstandards. Ich weiß es nicht. Auf Seiten der Unternehmen ist das Klagepotenzial größer geworden oder auch der Wunsch, Verfahren außerhalb von Österreich anzusiedeln. Es „vereuropäisiert“ sich. Man bekommt natürlich auch dadurch, dass redaktionelle Inhalte im Ausland über das Internet abrufbar sind, mehr Briefe aus dem Ausland. Gibt es beim „Standard“ eine unabhängige, kontrollierende Instanz, die sich um die Einhaltung der Leitlinien kümmert?Bei den Regelungen zu den Aktien kontrollieren sich die Herausgeber wechsel-seitig, die Chefredaktion schaut auf die Ressortleiter und ich baue darauf, dass auf dem Level der Ressortleitung die Regeln entsprechend überwacht werden. Was die Kennzeichnung betrifft, sehe ich ja, wann jemand warum auf Reisen geht. Ich habe ein Auge darauf, dass das ordentlich ausgewiesen wird. Ist das nicht der Fall, lasse ich ein Erratum in eigener Sache schreiben, was für die Betreffenden nicht sehr angenehm ist. Wir sind sicher auch noch nicht auf allen Ebenen supersauber, aber ich glaube, weitgehend haben wir es jetzt im Griff. Der Punkt in den Leitlinien „Zuwiderhandeln zieht disziplinäre Maßnahmen nach sich“ war in der Diskussion mit dem Betriebsrat durchaus umstritten. Es war dann Konsens, den Punkt stehenzulassen. Bis jetzt hatten wir jedenfalls keine gravierenden Probleme. Ich hoffe, das bleibt so. Frau Chefredakteurin, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!
Von Mag. Klaus Putzer 02. Dezember 2013 / Erschienen in Compliance Praxis 4/2013, S. 8
Im Interview Föderl-Schmid (c) Matthias Cremer Der Standard_klein Dr. Alexandra Föderl-Schmid ist eine der profiliertesten Journalistinnen in Österreich. Sie leitet seit 2007 als Chefredakteurin den „Standard“, seit 2012 ist sie neben Gründer Oscar Bronner auch Co-Herausgeberin des Print- und Online-Mediums. Die Oberösterreicherin, Jahrgang 1971, schrieb schon im Gymnasium für regionale Zeitungen und ab 1990, während Ihres Studiums der Publizistik, Politikwissenschaft und Geschichte, für den ...
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